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Interview mit Mag.a Bettina Steinbrugger, erdbeerwoche

Beitrag von unserer Bloggerin Luise Steininger

Mag.a Bettina Steinbrugger gründete 2011 gemeinsam mit Annemarie Harant die erdbeerwoche, um das Schweigen über das Tabuthema Menstruation zu brechen und Bewusstseinsbildung für nachhaltige Monatshygieneprodukte zu machen.

Steinbrugger
Bereits während meines Studiums war es für mich eigentlich klar, dass ich etwas im Nachhaltigkeitsbereich machen möchte.

Mag.a Bettina Steinbrugger gründete 2011 gemeinsam mit Annemarie Harant die erdbeerwoche, um das Schweigen über das Tabuthema Menstruation zu brechen und Bewusstseinsbildung für nachhaltige Monatshygieneprodukte zu machen. Was sie bereits bewirken konnten, welche Ziele sie haben, welche Rückmeldungen sie (auch von Männern) bekommen und was eigentlich Tampons und Binden mit Taschentücher gemeinsam haben?, erzählte Mag.a Bettina Steinbrugger im Interview.

Luise Steininger: 2011 wurde die erdbeerwoche gegründet, um sich dem Thema nachhaltige Montagshygiene zu widmen. Wo zwischen dem Studium der Romanistik an der Karl-Franzens-Universität in Graz und der praktischen Arbeit im Nachhaltigkeitsbereich ist diese geniale Idee geboren worden?

Bettina Steinbrugger: Bereits während meines Studiums war es für mich eigentlich klar, dass ich etwas im Nachhaltigkeitsbereich machen möchte. Ich war zuerst 8 Jahre als Projektleiterin bei einer Unternehmensplattform tätig, wo ich Unternehmen bei der Umsetzung nachhaltiger Aktivitäten unterstützt und begleitet habe und auch Annemarie Harant als Kollegin kennen gelernt habe. Sie ist dann weitergezogen, aber wir sind in Kontakt geblieben und per Zufall sind wir über eine Pressemeldung zu Bio-Tampons auf das Thema gestoßen. Das Thema hat uns nicht mehr losgelassen und wir haben festgestellt, dass eine große Problematik bei konventionellen Produkten – ähnlich wie bei Lebensmittel – vorhanden ist. Dann haben wir uns gefragt, warum selbst wir, die wir seit Jahren in der Nachhaltigkeitsbranche arbeiten, noch nie darüber nachgedacht haben woraus eigentlich ein konventioneller Tampon besteht und sind dann schnell einmal auf dieses Tabu gekommen, dass selbst im 21. Jahrhundert noch über die Regel herrscht und haben dann gesagt, dass kann und darf nicht sein. So ist die erdbeerwoche entstanden – zuerst eine Website mit fachlichen Informationen und in weiterer Folge der Online-Shop.

Wie waren die ersten Reaktionen Eures Umfeldes auf das doch noch nicht so offen diskutierte Thema der Monatshygiene?

Ganz unterschiedlich – von „Was, seid ihr noch ganz bei Trost? Nachhaltige Frauenhygiene und Bio-Tampon – was ist euch da jetzt wieder eingefallen?“ bis hin zu „Ja stimmt – ich habe eigentlich noch nie darüber nachgedacht.“ und dann kam auch schnell „Durch euch kann ich jetzt auch keine normalen Tampons mehr im Handel kaufen, weil ich immer daran denken muss welche Schadstoffe und Pestizide da drinnen sind.“ Bei einer anonymen Umfrage unter 250 Frauen haben wir nach dem Wissen über Inhaltsstoffe konventioneller Produkte und der Bereitschaft zum Umstieg auf nachhaltige Alternativen gefragt. Und die überwältigende Mehrheit hat ja gesagt und gleichzeitig nach einer Kaufmöglichkeit gefragt. So ist die Idee zum Online-Shop  geboren, weil wir möglichst schnell und flächendeckend den Frauen die Produkte verfügbar machen wollten.

Welche Altersgruppe sprecht Ihr denn dabei besonders an?

Prinzipiell sprechen wir natürlich die gesamte menstruierende Bevölkerung an – also alle Frauen so zwischen 13 und 50 Jahre. Aber es hat sich heraus kristallisiert, dass unsere Kernzielgruppe zwischen 25 und 35 Jahre ist. Es sind einerseits Frauen die sich schon mit dem Nachhaltigkeitsthema auseinander gesetzt haben, die auch z.B. bei Lebensmittel bewusst auf Regionalität und Bio-Qualität achten. Auf der anderen Seite haben wir aber auch eine spannende Zielgruppe jener Frauen, die mit öko gar nicht viel am Hut haben. Die aber wirklich wiederkehrende gesundheitliche Probleme im Intimbereich haben und nicht wissen, woher das kommt und tw. ziemlich verzweifelt sind. Wir haben bei einer Umfrage 2014 festgestellt, dass sich bei knapp 40 % aller Frauen, die auf unsere nachhaltigen Produkte umgestiegen sind Hautirritationen, Infektionen und andere Probleme im Intimbereich verbessert haben bzw. ganz verschwunden sind. Dass so viele Frauen von gesundheitlichen Problemen betroffen sind hat selbst uns überrascht.

Bekommt ihr auch Feedback von Männern?

Ja und interessanterweise ist das Feedback von Männern durchwegs positiv. Bei Frauen ist es ja mal positiver, mal etwas verhaltener – je nachdem wie die Frau zu ihrer eigenen Regel bzw. Regelgeschichte steht. Männer sind ja nicht von dem Thema betroffen und – so unsere Theorie – können dementsprechend viel unbefangener damit umgehen. Deshalb haben wir eigentlich durchwegs positive Reaktionen von Männern und sie sind da interessanterweise auch viel offener als wir vermutet hätten.

Worin seht Ihr die größten Herausforderungen beim Thema Monatshygiene?

Eine der größten Herausforderungen ist sicher diesen Bewusstseinswandel zu schaffen bzw. die Frauen darüber aufzuklären. Diese Produkte nimmt man schnell mal im Drogeriemarkt mit, ohne viel darüber nachzudenken. Eine andere Problematik ist, dass in der EU eine Gesetzeslücke besteht, wodurch die Inhaltsstoffe auf Tampon- und Bindenpackungen nicht ausgewiesen werden müssen. D.h. das was bei Lebensmittel oder Kosmetika ganz normal ist – ich nehme eine Packung und sehe was drinnen ist – das ist hier nicht der Fall. Dadurch hält sich der Irrglaube von sicheren Baumwoll-Produkten auch so hartnäckig. In Wahrheit unterliegen in der EU Tampons und Binden nur denselben Bestimmungen – auch was Schadstoffe betrifft –  wie Taschentücher. Aber es macht einen Unterschied, ob ich mich mal 10 Sekunden wo hinein schnäuze oder wirklich ein Produkt 5 Tage im Monat in meinem Körper an den Schleimhäuten habe. Wir wollen daher letztendlich die Frauen dazu bewegen, ähnlich wie im Lebensmittel- oder im Kleidungsbereich auch einen gewissen Druck zu erzeugen, dass nachhaltige Materialien eingesetzt werden.

Ihr macht seit fünf Jahren Werbung für Menstruationstassen, wiederverwendbare Stoffbinden und Co und habt auch schon einige Preise gewonnen. Was waren Deine persönlichen Highlights der letzten fünf Jahre?

Wir hatten und haben natürlich ganz viele positive Momente. Wöchentlich bekommen wir Rückmeldungen von Frauen, denen es dank der nachhaltigen Produkte besser geht und deren Einstellung zu ihrer Regel sich komplett verändert hat. Das sind für mich die persönlichen kleinen Highlights, die das Unternehmen mit sich bringt.

Dann ich es natürlich schon auch ein Highlight als wir letztes Jahr zum Beispiel beim Innovationskongress einen Pitch Award für uns entscheiden durften, wo wirklich – ich glaube sogar – etwas mehr als 50 % Männer im Publikum waren. Das hat uns auch gezeigt, dass jetzt das Thema bereit ist aus der Nische zu kommen. Dass jetzt die Menschen bereit sind darüber zu sprechen.

Ist dieses Herauskommen aus der Tabu-Ecke die größte Veränderung die ihr beobachten konntet?

Ja, das sieht man z.B. auch daran, dass das Thema Tampon-Steuer jetzt auch politisch und gesellschaftlich immer mehr angesprochen wird. Wir fordern eine Senkung der Tampon-Steuer, weil Tampons in Österreich und fast allen Ländern mit dem höchsten Steuersatz besteuert werden obwohl sie eigentlich Güter des täglichen Bedarf sind, wie z.B. Lebensmittel, die in Österreich mit nur 10 % besteuert werden. Also ich habe noch keine Frau kennengelernt, die ihre Periode als Luxus sieht! Diese Produkte braucht man einfach und dementsprechend sollten die nicht stärker besteuert werden als Lebensmittel. Selbst Präsident Obama hat vor einigen Monaten zu diesem Thema Stellung genommen.

Ihr habt es Euch ausgerechnet: rund 45 Milliarden Tampons bzw. Binden werden jährlich weltweit verbraucht. Bisher konntet ihr bereits ca. 1 Million konventionelle Produkte ersetzen. Welche Ziele habt ihr Euch für das nächste Jahr oder die nächsten Jahre gesteckt? Wo sehr ihr euch 2021 – zum 10-jährigen Jubiläum der erdbeerwoche?

Unsere Vision ist wirklich alle Frauen weltweit zu erreichen, dass sich einfach keine Frau mehr – egal wo auf der Welt sie ist – für ihre Periode schämen muss, ganz offen darüber sprechen kann und v.a. dass sie die Möglichkeit hat, das Produkt ihrer Wahl für ihre Monatshygiene zu verwenden. Dazu müssen alle Frauen Zugang zu nachhaltiger und gesunder Monatshygiene haben, was im Moment nicht der Fall ist. Und ich glaube, wenn wir an dieser Vision arbeiten haben wir sowieso noch einiges zu tun, aber natürlich gehen wir kleine Schritte. Im Moment sind wir vor allem in Österreich und Deutschland aktiv. Noch in diesem Jahr wollen wir in die Schweiz expandieren und dann Schritt für Schritt in die restlich EU, mit dem Ziel DIE europäische Plattform und Ansprechstelle für das Thema nachhaltige Frauenhygiene zu werden.

In Europa ist es vermutlich Eure wichtigste Aufgabe Bewusstseinsbildung zu betreiben und auf die Nachteile konventioneller Produkte hinzuweisen. In anderen Teilen der Welt haben viele Frauen keinen Zugang zu Monatshygieneprodukten und schlimmstenfalls auch nicht zu sauberem Wasser. Ihr seid auch international (Indien) unterwegs! Was sind hier die großen Herausforderungen?

Ja, wir waren gerade zwei Wochen für eine Reportage mit dem WDR in Indien unterwegs und es war wirklich sehr spannend. Dort haben wir auch mit vielen armen Frauen gesprochen, die vor ganz anderen Herausforderungen stehen. Frauen dürfen dort viele Dinge nicht tun wenn sie ihre Periode haben: Sie dürfen nicht in den Tempel gehen oder teilweise nicht im selben Raum mit den anderen Familienmitgliedern schlafen. Auf der anderen Seite fehlt einfach auch oft der Zugang zu diesen Produkten, wodurch Mädchen nicht in die Schule gehen oder Frauen nicht in die Arbeit gehen können – das bedeutet auch einen derartigen Bildungsrückstand von Mädchen im Vergleich zu Burschen, der unter anderen am fehlenden Zugang zu Monatshygieneartikeln liegt und das ist schon nochmal eine ganz andere Herausforderung. Da kann man noch gar nicht von der Nachhaltigkeit der Produkte sprechen.

In welchen anderen Lebensbereichen außer Monatshygiene achtest Du persönlich besonders auf einen ressourcen- und umweltschonenden Lebensstil?

Ich versuche das in ganz vielen Bereichen und kann das mittlerweile auch gar nicht mehr ausblenden. Das fängt beim Essen an – ich bekomme z.B. wöchentlich mein Bio-Kisterl nach Hause geliefert. Alleine Lebensmittel wegzuschmeißen – das schaffe ich nicht. Jemand der bei uns zu Besuch kommt ist immer erschrocken wenn er den Kühlschrank sieht, weil der immer zu ¾ leer ist, weil wir immer versuchen frisch einzukaufen und alles zu verbrauchen. Also ich versuche immer wenig Müll zu erzeugen, schaue, dass ich Wege wo möglich öffentlich zurücklege und versuche Nachhaltigkeit in sämtlichen Lebensbereichen zu leben.

Möchtest Du unseren Leserinnen und Lesern bitte noch einen persönlichen Tipp, einen Anstoß oder eine Empfehlung auf ihrem Weg zu einem nachhaltigen Lebensstil mitgeben?

Einerseits möchte ich ihnen mitgeben in sämtlichen Bereichen Dinge zu hinterfragen, lästig zu sein, sich nicht zu genieren und im Geschäft nach Herkunft und Produktionsbedingungen von Produkten zu fragen. Wenn diejenige Person das vielleicht nicht beantworten kann zu bitten, die Frage an die Geschäftsleitung oder an die verantwortlichen Personen weiterzuleiten. Also ich glaube so kann ein gewisser Druck erzeugt werden, sodass dann letztendlich Unternehmen umdenken müssen.

Ansonsten muss man – glaub ich – einfach sehen, dass es jede und jeder in der Hand hat Dinge zu verändern. Ich glaube man sollte nie sagen: Na, was bringt das schon, wenn ich mit dem Rad in die Arbeit fahre? Oder was bringt es wenn ich Bio-Lebensmittel kaufe, weil dort am anderen Ende der Welt … Ich glaube jeder und jede hat einen großen Wirkungsbereich, v.a. wenn man daran denkt, wie viele Personen jede und jeder einzelne kennt. Ich glaube, wenn man hier auch in persönlicher Überzeugung- oder Aufklärungsarbeit agiert, erzeugt man sofort eine Kettenreaktion und schon hat man einen viel größeren Wirkungsbereich als man denken möchte.

Kurz nachgefragt:

  • Welche Telefonnummer in Deinem Verzeichnis ist die wichtigste?
    Das hält sich ein bisschen in der Waage zwischen meinem Mann und meiner Geschäftspartnerin Annemarie, wobei ich glaube ich rufe sogar zweitere öfters an *lacht* – ja, das muss ich gestehen.
  • Was ist Dein persönlicher Lieblingsausdruck für Menstruation?
    Das muss natürlich erdbeerwoche sein – das geht nicht anders.
  • Was war dein bisher lustigster oder seltsamster Job?
    Teeverkauf auf Messen als Studentenjob. Ich war damals umsatzbeteiligt und musste diesen Standard-Tee wirklich verkaufen. Das hat mich sehr gut vorbereitet auf meine jetzige Arbeit, denn das nimmt einem einfach jegliche Scheu Menschen anzusprechen und für eine Idee zu sprechen. Unser Credo auf Messen ist es immer: Keine Frau kommt an unserem Stand vorbei ohne gehört zu haben, worum es bei der erdbeerwoche geht.
  • Schokolade- oder Vanilleeis?
    Schokoladeeis
  • Weltenbummlerin oder lieber Urlaub in Österreich?
    eindeutig Weltenbummlerin
  • Dein Lebensmotto?
    Es ist vielleicht schon abgedroschen, aber: „Be the change you want to see in the world“. Also ich glaube man sollte wirklich versuchen die Veränderung zu sein.
  • Apfel- oder Birnensaft?
    beides und am liebsten gemischt
  • Dein Berufswunsch als Kind?
    Da war so ziemlich alles dabei: Walforscherin, Mineralienerkunderin, Schmuckherstellerin, …
  • Welche berühmte Persönlichkeit würdest Du gerne interviewen?
    Da gäbe es wahrscheinlich ganz viele, aber wir sagen immer, wir sehen uns als das Ben & Jerry (Fairtrade-Eis) der nachhaltigen Frauenhygiene. Die haben auch eine ganz interessante Geschichte und die würde ich gerne mal persönlich treffen und näher ausfragen.
  • Dein Tipp – wer wird die Fußball-Europameisterschaft gewinnen?
    Natürlich Österreich – ganz klar! *lacht*

Danke für das Interview!