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Interview mit Andy Holzer, Blinder Extrembergsteiger

Beitrag von unserer Bloggerin Christa Ruspeckhofer

Dem von Geburt an blinden Bergsteiger und Extremsportler gelang im Mai dieses Jahres die Besteigung des Mount Everests, was ihn zum ersten blinden Europäer macht, der die „Seven Summits“ – die höchsten Berge aller Kontinente – bezwungen hat.

Andy Holzer im Gespräch mit Christa Ruspeckhofer
Andy Holer hat als erster blinder Europäer die „Seven Summits“ – die höchsten Berge aller Kontinente bezwungen.

Dem von Geburt an blinden Bergsteiger und Extremsportler gelang im Mai dieses Jahres die Besteigung des Mount Everests, was ihn zum ersten blinden Europäer macht, der die „Seven Summits“ – die höchsten Berge aller Kontinente – bezwungen hat.

Er spielt als Gitarrist, Bassist und Sänger in einer Tanzkapelle und betreibt verschiedene Sportarten, wie Langlauf und Surfen, vor allem aber Klettern und Bergsteigen haben es ihm angetan. Seit 2010 ist er selbstständig als Bergsteiger, Testimonial und Vortragender unterwegs. In seinen Vorträgen geht es um Visionen und grenzwertige Erfahrungen. Sein Motto ist es „den Sehenden die Augen öffnen.“

Herr Holzer, es gibt nicht unbedingt viele blinde Kletterer und Bergsteiger. Wie sind Sie dazu gekommen?

In Lienz oder Amlach in Osttirol habe ich in den sechziger Jahren nicht viele Möglichkeiten gehabt mich in der Freizeit zu beschäftigen. Die Berge waren da, die Dolomiten stehen wirklich direkt hinterm Haus. Das Bergsteigen ist bei uns schon in den Genen und das Hinaufsteigen erweitert einfach den Horizont. Nur auf der Alm wandern mit den Eltern war mir zu mühselig. Die Eltern haben am Anfang nicht verstanden, dass es für mich leichter ist, auf allen Vieren zu gehen. Neun Jahre habe ich gekämpft, bis es meinen Eltern langsam bewusst geworden ist, dass ich meine Ressourcen einfach anders einsetzen muss als ein sehendes Kind. 1975 habe ich dann endlich wirklich einen Felsenberg in den Dolomiten, den Spitzkofel, bestiegen, der nur durch Klettern zu bezwingen war.

So habe ich schon mit neun Jahren verstanden, dass man das nehmen muss was man hat und nicht ständig nach Ressourcen suchen muss, die man niemals haben wird.

Wie kommunizieren Sie mit Ihren Seilpartnern bei Ihren Touren in die Bergwelt? Wenn Sie unterwegs sind kommunizieren Sie viel mit den Händen?

Es geht immer um unsere Ressourcen. Wir haben fünf Hauptsinne, die uns mit unserer Umwelt und der Realität verbinden. Wir glauben immer, wir haben alles unter Kontrolle, wir können alles wahrnehmen. Das ist ein vollkommener Wahnsinn. Wenn man sich überlegt wie wenig Spektren der Strahlung oder der Wellenlängen oder der kompletten Schwingung dieses Planeten wir mit unseren fünf Sinnen abgreifen: Mit dem Gehörsinn hören wir von 20 Hertz bis 20.000 Hertz, das ist ganz wenig. Mit den Augen sehen wir zwischen Infrarot und Ultraviolett, das ist fast noch weniger. Der Tastsinn greift auch ein ganz schmales Spektrum ab.

Bei mir fehlt das Sehen zwischen Infrarot und Ultraviolett, aber das macht im Verhältnis gesehen gar nicht so viel aus. Das haben ja nur die Menschen in der westlichen Welt festgelegt, dass das Sehen 85% der Wahrnehmung gestaltet. Wir sind bei uns völlig auf das Sehen ausgerichtet. Jetzt kommt jemand auf die Welt, der das nicht weiß, der Andy Holzer, und nutzt die anderen Spektren zum Abgreifen der Umwelt.

Wenn ich heute auf den Everest hinaufsteige und es ist windstill, dann verwende ich natürlich komfortabel den Gehörsinn.

Kommt ein Sturm ums Eck dann funktioniert der Gehörsinn aber nicht mehr. Dann muss ich sofort switchen auf den taktilen Sinn. Da muss ich dann quasi mit Körperkontakt, mit meiner Hand und mit meinen Fingern den Rucksack oder die Schulter des Vordermanns ertasten. Die Bewegung spiegelt mir dann 1:1 den Untergrund wider. Denn die Schulter geht natürlich 30 cm hoch, wenn unten eine 30 cm hohe Stufe mit den Füßen angestiegen wird.

Es gibt keinen wichtigeren Sinn oder keinen weniger wichtigen Sinn. Wenn du einen Marathonläufer fragst, welcher der wichtigere Fuß ist, der rechte Fuß oder der linke, wird er antworten: Je nach dem welchen Schritt du machst.

Andy Holzer beim Umweltgemeindetag in Niederösterreich
Andy Holzer beim Umweltgemeindetag in Niederösterreich

In einem Interview sagen Sie: „Ich sehe mit meinen zehn Fingern und sobald meine Hände Kontakt mit dem Fels kriegen, habe ich ein Bild der Umgebung.“ Nehmen Sie so auch Folgen der Klimaveränderungen, wie Gletscherschmelze, aufgetaute Permafrostböden oder das Schmelzen der Polkappen wahr?

Ich glaube, da braucht man gar nicht so sensibel sein. Es ist einfach grauenhaft wie arm und nackt der Großglockner da steht, wenn nicht gerade zufällig ein Tief hereinkommt und ihm kurz ein neues Kleid umwirft. Da wird es auch für gute Bergsteiger wesentlich gefährlicher und schwieriger das „Glocknerleitl“ hinaufzusteigen als im Stapfschnee. Da muss man es sich schon überlegen, die kleine Felsinsel rauf zu klettern mit der Angst, dass es wegbricht und den unteren Bergsteiger mit Steinschlag verletzt. Diesen Gedanken muss man jetzt überall haben – ich habe auf allen Kontinenten die höchsten Berge bestiegen, darüber hinaus auch viele andere und es ist überall das gleiche.

Oder schauen wir einmal an was da mit der Oberflächentemperatur im Atlantik gerade passiert, mit diesen wahnsinnigen Stürmen. Die gibt es eindeutig mehr als vor dreißig Jahren. Sicher unterliegt alles auch natürlichen Schwankungen und dass man die Leute nicht völlig narrisch machen darf ist mir auch klar. Aber man kann auf keinen Fall sagen, dass alles eine Träumerei ist, dass alles ganz normal ist.

Wir Menschen glauben immer, dass wir alles unter Kontrolle haben müssen. Dass wir die Technik, die Raffinessen besitzen, um alles im Griff zu haben. Das ist aber nicht so.

 2017 ist ja das Jahr des nachhaltigen Tourismus. Aus den Medien kennen wir Bilder von zurückgelassenen Camps im Himalaya – mit viel Müll, Zelten, Fässern etc. Wie erleben Sie bei Ihren Touren diese Problematik und wie sehen Sie diese Entwicklung des „Extrem-Bergtourismus“?

Das ist ein ganz wichtiges Thema für mich. Ich habe 2005 angefangen mit meinen großen Reisen in Afrika, am Kilimanjaro, und da war das genauso, wie es sich die Menschen vorstellen. Vor 12 Jahren sind dort überall die Flaschen und Dosen herumgelegen. Da bin ich schon sehr erschrocken. 2010 bin ich wieder auf den Kilimanjaro gestiegen und da hatte ich das Gefühl, ich kenne den Berg nicht mehr. Da bist du bestraft worden, wenn du etwas wegschmeißt. Da gab es schon ein ganz anderes Bewusstsein.

Am Mount Everest war ich dreimal unterwegs. Das erste Mal 2014, wo wir wegen einer Eislawine nicht hinaufgekommen sind, 2015 beim großen Erdbeben und jetzt 2017 mit dem Gipfelerfolg. Dort gibt es seit sieben, acht Jahren ein Gesetz, dass jeder Bergsteiger, der den Everest besteigen will, ein „Permit“ lösen muss. In diesem Permit, das ist wie ein Vertrag, den du eingehst, steht als festgeschriebener Vertragspunkt, dass jeder Everest-Bergsteiger verpflichtet ist, eine gewisse Anzahl an Kilogramm Müll vom Berg mit herunter zu nehmen. Jedenfalls mehr Müll als du selber hinauf tragen kannst. Du findest am Everest vom Basecamp bis auf 8.300 m, im Lager 3 fast keinen Müll mehr. Diese Gesetzeslinie war auch nötig, denn früher wurden leere Sauerstoffflaschen einfach zurück gelassen.

Am Mount McKinley in Alaska ist es noch extremer. Da bekommst du schon am Fuße des Berges deinen CMC (clean mountain can) (Anm. der wln-Redaktion: ein tragbares Klo, das wie ein kleiner Bioabfalleimer aussieht). Da musst du nach den 3 Wochen deine eigenen Exkremente unten bei den Rangern wieder abgeben. Sonst drohen Strafen. Wir hatten damals einen Fall, da ist es einem Bergsteiger am Mount McKinley auf 5.200 m schlecht gegangen und er hat starken Durchfall bekommen. In seinem Kampf hat er bei minus 47 Grad seine Unterhose liegen lassen. Die war nicht mehr brauchbar. Vier Tage später sind wir gemeinsam ins Tal gekommen und die Polizei hatte den Vorfall schon registriert und er hat 100 Dollar Strafe gezahlt. Es wird also hart durchgegriffen!

Unsere Initiative gibt Tipps und Vorschläge, wie wir unseren Alltag nachhaltiger gestalten können. Wo fällt es Ihnen besonders leicht den nachhaltigeren Weg einzuschlagen? Wo fällt es Ihnen schwerer?

Besonders leicht fällt es mir bei dem ganzen Konsumwahnsinn.

Ich habe nicht einmal eine Jause mit oder eine Schokolade. Nur etwas zum Trinken. Allerdings in einer Plastikflasche – die Metallflasche hatte wieder andere Nachteile. Und die Plastikflasche benutze ich den ganzen Sommer bis meine Frau Sabine sagt, sie ist unbenutzbar.

Wo ich mir schwer tue bei uns in Osttirol ist der öffentliche Verkehr. Das geht zurzeit mit meinem Lebensstil gar nicht. Heute bin ich in St. Pölten und morgen klettern in den Dolomiten. Das ist schwierig!

Auf meinen Expeditionen fallen auch viele Batterien an. Wir nehmen sie zwar wieder mit nach Hause in den Sondermüll, aber was wäre eine Alternative? Aufladbare Akkus? Du bist auf 6.000 m am Everest und willst Fotos machen und die Batterie ist leer. Dort ist nirgends eine Steckdose in Sicht.

Andy Holzer beim Umweltgemeindetag in Niederösterreich
Andy Holzer beim Umweltgemeindetag in Niederösterreich

Kurz nachgefragt:

  • Mit wem würden sie gerne einen Tag tauschen?
    Mit meiner Frau. Weil dann verstehe ich endlich einmal, wie sie das Ganze sieht. Sie leidet ja auch unter meiner Energie, meiner Ansicht und meiner Extremität.
  • Ich mag an mir…
    die Klarheit, das analytische, scharfe Denken, das ich glaube zu haben. Ich kann mich auf nichts Schwammiges wirklich verlassen, weil sonst stürze ich ab.
  • Mitmenschen fürchten an mir…
    Meine sehr direkte, oft sogar sekkant, provokant wirkende Art, die ich habe. Ich habe keinen Platz für Ausschmückungen.
  • Schlutzkrapfen oder Wiener Schnitzel
    Wiener Schnitzel
  • Ich kann nicht verstehen, dass….
    die Menschen im Ernstfall ihren Verstand nicht verwenden, den ihnen der liebe Gott gegeben hat.
  • E-Mail oder Telefon
    Telefon
  • Ihr nächstes Ziel/Herausforderung
    Ich möchte einfach die Botschaft, die ich vom Everest mit herunter genommen habe, möglichst vielen Menschen auf dieser Welt weitergeben: Dass das Zusammenhelfen, Zusammenarbeiten und Ressourcen bündeln wirklich nahezu alles ermöglicht. „Den Sehenden die Augen öffnen“ steht auf meiner Startfolie beim Vortrag. Das ist meine Vision, den Menschen zu sagen: Schaut her, es geht! Wir haben alle Ressourcen zur Verfügung, wir müssen sie nur nehmen.

Danke für das Interview!