Beitrag von unserer Bloggerin Daniela Capano
Interview mit GF Dr. Willi Nowak, VCÖ
Der VCÖ setzt sich für eine ökologisch verträgliche, sozial gerechte und ökonomisch effiziente Mobilität ein.
Dr. Willi Nowak gründete im Jahr 1988 als damals 30jähriger gemeinsam mit VerkehrswissenschaftlerInnen und VertreterInnen von Verkehrsbürgerinitiativen den VCÖ Verkehrsclub Österreich, der heute VCÖ – Mobilität mit Zukunft heißt. Der VCÖ setzt sich seitdem für eine ökologisch verträgliche, sozial gerechte und ökonomisch effiziente Mobilität ein.
Daniela Capano: Herr Dr. Nowak, sie sind sozusagen einer der Gründervater des VCÖ – wie kam es, dass Sie gleich nach Ihrem Geologie-Studium in der Mobilität gelandet sind?
Dr. Willi Nowak: Während des Studiums bin ich jeden Tag mit dem Rad gefahren. Durch das Rad fahren bin ich zur ARGUS, der Fahrradinitiative in Wien, gekommen und dort entstand der Gründungsgedanke eine Vereinigung zu gründen, den VCÖ, die die Interessen aller am Verkehr teilnehmenden Menschen, die ökologisch denken, vertritt. Zum damaligen Zeitpunkt gab es auch schon den VCD in Deutschland und den VCS in der Schweiz. Die waren unsere Vorbilder. Aus dem zuerst ehrenamtlichen Engagement entstand dann eine Anstellung. Wir waren damals als Verein in NÖ situiert und des AMS hat die Startphase unseres Unternehmens mitunterstützt.
Daniela Capano: Sie sind heute Leiter einer der bekanntesten Organisationen, die sich für klimaverträgliche und effiziente Mobilitätslösungen, also Radfahren, Gehen, öffentlichen Verkehr und umweltschonendes Autofahren einsetzt. Mit welchen Themen beschäftigt sich derzeit der VCÖ?
Dr. Willi Nowak: Von der Grundausrichtung her geht es dem VCÖ darum, Mobilitätsformen und Mobilitätskonzepte, die in Zukunft für eine bessere Verkehrswelt stehen, in Diskussion zu bringen und zu propagieren. Uns interessiert dabei auch, mögliche Rebound-Effekte, also später auftretende negative Folgewirkungen sichtbar zu machen. Beispielsweise bei der e-Mobilität auf die nachhaltige Energie-Gewinnung des Stromes hinzuweisen oder beim automatisierten Fahren die Bedeutung der Einführung einer City-Maut zu betonen oder bei Sharing-Konzepten, darauf zu achten, dass soziale Kriterien erfüllt bleiben.
Ein konkretes Beispiel dazu: In etwa 20 Jahren wird alles was nicht elektrisch fährt, kaum mehr in die Städte einfahren dürfen –in Wien innerhalb des Gürtels hat der Verbrennungsmotor im Jahr 2035 nichts mehr verloren. Daher ist die Förderung der Elektrifizierung des Verkehrs heute schon wichtig. Wenn allerdings für e-Fahrzeuge, wie jetzt diskutiert, gratis parken oder die Benutzung von Busspuren erlaubt wird, dann ist das völlig kontraproduktiv, denn e-Fahrzeuge brauchen genauso viel Platz wie jedes Auto mit Verbrennungsmotor. Behindert das e-Fahrzeug den öffentlichen Bus geht es in die falsche Richtung. e-Mobilitätsförderung muss zu Lasten von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor gehen und nicht zu Lasten des öffentlichen Verkehrs und darf auch nicht zu Lasten des Gehens und der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum gehen, wenn Flächen für e-Fahrzeuge gratis zur Verfügung gestellt werden.
Ein anderes derzeit wichtiges Thema sind Sharing-Modelle. Sie machen den gesellschaftlichen Trend deutlich sichtbar, dass der Privatbesitz an welchen Verkehrsmitteln auch immer, sehr schnell abnehmen wird. Junge Menschen wollen schon heute nicht mehr den Besitz, sondern die Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln und Mobilitätsangeboten.
Wir haben alle kein Privatflugzeug (bis auf ein paar Ausnahmen) und wir haben auch keine Privatzüge. Das private Auto ist ein Auslaufmodell. Auch das Privatfahrrad ist für viele Alltagszwecke ein Modell der Vergangenheit und da ist auch das Land Niederösterreich mit der eNu fortschrittlich mit dem nextbike, dem Sharing-Modell für Fahrräder. Ich sage jetzt nicht das Mountainbike oder Rennrad für Sportzwecke, das wird es weiterhin im Privatbesitz geben, aber für die Alltagsstrecken kann es komfortabler werden, sich ein Fahrrad bzw. e-Bike im Sharing-Modell auszuborgen.
Ich denke, dieses über den Tellerrand blicken im Verkehrsbereich – und zwar thematisch, geografisch und zeitlich ist ganz wichtig. Dieses Vorausdenken auch bei scheinbar kurzfristig guten Projekten, das sieht der VCÖ als seine Hauptaufgabe.
Daniela Capano: In Österreich kommt laut Statistik Austria ein Auto auf 2 Personen, das sind um 1,5% mehr als noch zum Vorjahresstichtag. Woran liegt es, dass das Auto immer noch so einen hohen Stellenwert hat?
Dr. Willi Nowak: Da sind Unterscheidungen zu treffen. Zum einen wird die Wichtigkeit des Privatbesitzes am Auto zu Gunsten von Carsharing-Modellen abnehmen, aber nicht die Wichtigkeit des Autos an sich. Ein Carsharing-Auto weist insgesamt 8-10 Nutzende auf und ein durchschnittliches Privatauto, welches meist maximal von 2 Personen genutzt wird, steht 23 Stunden am Tag ungebraucht leer herum. Das ist Ressourcenverschwendung, sowohl vom Platz her als auch von den Kosten. Im Sharing-Modell wird soviel gezahlt wie tatsächlich gefahren wird und damit ist es für alle günstiger. Beim Auto im Privatbesitz wird gerade einmal an den Treibstoffpreis gedacht, aber schon nicht mehr an die Versicherung, das Pickerl und gejammert wird über die angeblich teure Vignette – die tatsächlich aber so günstig ist wie kaum woanders.
Zum anderen braucht es die Unterscheidung Stadt – Land. Die Flächenerschließung in der ländlichen Region wird nicht vollständig im öffentlichen Verkehr möglich sein. Das bedeutet, es braucht öffentlich zugängliche, individuell nutzbare Fahrzeuge. Sharing-Modelle, beispielsweise von Gemeinden betrieben, könnten hohe Anteile der Zweitautos, auch in den ländlichen Haushalten, wegrationalisieren. In der Stadt schaut es noch einmal ganz anders aus. Die Kilometer, die in der Stadt zurückgelegt werden sind meist viel ökologisch verträglicher als in der Region – zu Fuß, mit dem Fahrrad oder im Öffentlichen Verkehr. Man kommt gar nicht erst auf die Idee 500 m mit dem Auto zu fahren, wie es am Land oft passiert. Zusätzlich ermöglicht die Dichte der Stadt natürlich einen guten öffentlichen Verkehr, wenn viele Leute unterwegs sind zahlt es sich aus, eine Buslinie zu machen.
In der Stadt ist es wahrscheinlich viel früher möglich die Vorgaben des Klimaschutzabkommens von Paris einzuhalten. In der Region wird es stark davon abhängen wie engagiert sich die Gemeinden zeigen.
Daniela Capano: Den VCÖ gibt es nun schon fast 30 Jahre! Ein beeindruckender Zeitraum. Was hat sich in der Zeit in puncto Mobilität verändert? Was sind die Fragen von heute?
Dr. Willi Nowak: Ende der 1980er Jahre war die Phase wo erstmals Katalysatoren für Pkw mit Verbrennungsmotoren auf den Markt kamen. In Österreich ist das Ganze schief gegangen, weil durch steuerliche und andere Anreize ein Dieselboom ausgelöst wurde. Das ist eine weltweite Ausnahme. Die Schweiz ist etwa so gebirgig und reich wie Österreich und die haben mit 27 Prozent nur einen halb so hohen Anteil wie Österreich mit seinen 57 Prozent Dieselfahrzeuganteil am Pkw-Bestand. Auch weil uns der Diesel Ende der 1980er Jahre als sauber verkauft wurde, was schon damals nicht gestimmt hat. Das Wissen und das Bewusstsein haben sich geändert, außer bei ein paar Unbelehrbaren. Aber die Diesel-Maschinerien sind uns geblieben, sonst hätte es beispielsweise den VW-Abgas-Skandal nicht gegeben. Jetzt wissen alle, wie giftig Diesel ist. Doch noch immer werden Gesetze beschlossen, die vorschreiben, dass Gifte ein gewisses Maß nicht überschreiten dürfen, und dann betrügen Auto-Hersteller, um dieses Gesetz zu umgehen.
Der VCÖ hat schon im Jahr 1989 die ersten Aussendungen dazu gemacht, dass Dieselfahrzeuge nicht sauberer sind. Unsere Warnungen wurden nicht gehört. Wenn die Politik da nicht reagiert und es nicht ernst nimmt, dass hier die Bevölkerung gesundheitlich geschädigt wird, dann läuft etwas grundsätzlich falsch.
Wirklich verändert hat sich in der Gesamtbevölkerung das Umweltbewusstsein und zumindest die Haltung, niemanden schaden zu wollen.
Auch setzt sich langsam durch, dass Kostenwahrheit im Verkehr entstehen muss. Da gibt es gute Modelle, die diskutiert aber noch nicht eingeführt sind. Warum zahlt beispielsweise der Schienenverkehr für jeden Kilometer Maut, der Lkw nur auf Autobahnen, aber auf 90% des Straßennetzes wird vom Lkw-Verkehr keine Maut bezahlt. Auch mit dem Privat-Pkw wird durch die Vignette nur pauschal und Minimales für die Autobahnen bezahlt, anstelle dass kilometerabhängig abgerechnet wird.
Ein weiterer wichtiger Punkt wird die Mobilitätssicherung sein. Mobilitätssicherung bedeutet, dass alle Menschen in der Gesellschaft die Möglichkeit haben, ihre täglichen Wege zeitsparend und kostengünstig zurückzulegen. Nicht nur die Wege zum Arzt und zur Post, sondern auch Wege um Freundschaften zu pflegen etc. Das ist in der Region schwieriger als in der Stadt und heißt für viele Gemeinden beispielsweise Mikro-ÖV-Systeme wie Anrufsammeltaxis zur Verfügung zu stellen.
Auf der Gemeindeebene ist das Bewusstsein gestiegen, sich für die Mobilität der Bevölkerung einzusetzen. Das Problem ist, dass sich die Familienstrukturen stark verändert haben. Jetzt haben wir kleine Familien und entvölkerte Dörfer. Das sind Themen, die in Österreich nicht gerne diskutiert werden. In der Schweiz ist bereits für ganze Täler die Entscheidung gefallen, keine Infrastrukturen mehr öffentlich zur Verfügung zu stellen, wenn zu viele Menschen weg gezogen sind. Es ist zu teuer für die wenigen Verbleibenden, die Infrastrukturen aufrecht zu erhalten.
Unser heutiges Komfort-Verständnis von Mobilität, jederzeit überall hinzugelangen, funktioniert in großen Städten wie Wien und auch in lokalen Zentren wie Melk oder Amstetten. Wer beispielsweise in Wien lebt, hat praktisch alle 5 Minuten einen öffentlichen Anschluss, kann das Rad nehmen oder zu Fuß gehen. Ich habe beispielsweise sehr viele Pflanzen zu Hause. Doch selbst wenn ich zum Bauhaus fahre und mir diesen großen Blumentopf kaufe, fahre ich mit dem Faltrad hin und mit dem Taxi samt gefaltete Fahrrad und Blumentopf im Kofferraum zurück. Dafür zahle ich dann vielleicht einmal 20 Euro aber nicht jeden Monat 300 bis 400 Euro, was das private Auto kosten würde. Hier wird im Bewusstsein vieler Menschen noch einiges passieren. Mobilität erhöht dann Freiheit und ist dann individuell, wenn sie ohne Privatbesitz an Fahrzeugen auskommt und ohne dass andere Menschen oder die Gesellschaft als ganzes zu Schaden kommen.
Das Auto im Privatbesitz wird mit uns Babyboomern – ich gehöre ja auch zu dieser Generation – in Pension gehen. Und das, was danach kommt, hat das Potenzial flexibler, freier, technologisch hochwertiger, sicherer und ökologisch verträglicher zu sein. Allerdings braucht es dafür die richtigen Rahmenbedingungen, um negative Effekte dieser Transformation des Verkehrssystems hin zu ökologischer und sozialer Verträglichkeit zu vermeiden.
Dr. Willi Nowak: Wenn wir die Good-Practice-Beispiele aus allen Staaten zusammenfassen könnten, hätten wir tatsächlich schon ein tolles Verkehrssystem.
Ich würde gerne aus Schweden das Modell von Vision Zero implementieren, das keine Verkehrstoten und Schwerverletzte toleriert. Deswegen hat Schweden viel weniger Verkehrstote pro 1.000 Einwohner als wir in Österreich. Von der politischen Strategie bedeutet dies beispielsweise schärfere Temporegelungen und Zugangssperren zum Auto, etwa über Alko-Karten einzuführen. Auch Aufmerksamkeitsstörungen wie das Smartphone lassen sich technisch gut lösen wenn es beispielsweise innerhalb eines Autos keinen Empfang mehr gibt. Mit der Vermeidung von Geschwindigkeitsübertretungen und Aufmerksamkeitsstörungen hätten wir schon 80% aller Unfallursachen weg.
In Norwegen darf ab dem Jahr 2025 kein Auto mit Verbrennungsmotor mehr neu zugelassen werden. Jeder Neuwagen wird elektrifiziert sein. Damit haben die Norweger die Nase vorne bei Elektrifizierungs- und Automatisierungsmodellen.
Die gratis Fahrrad-Sharing-Modelle aus China dürfen auch nicht fehlen – mit Adaption wäre dies in den Städten Europas durchaus nutzbar.
Deutschland hat vor einigen Wochen ein Bundesgesetz zum Carsharing verabschiedet: Sharinginitiativen mit einer Mindestanzahl an Nutzenden haben in Deutschland jetzt Anspruch auf reservierte Standplätze. In Österreich bin ich derzeit auf den Goodwill der Gemeinde, in Wien auf dem Bezirk angewiesen.
Wir in Österreich sind derzeit noch eines der wenigen EU-Staaten, die keine Umweltzonen in Ballungszentren haben, also Fahrverbote in Innenstadtbereichen für Fahrzeuge, die einen zu hohen Schadstoffausstoß haben.
Setze ich alle Beispiele aus dem ökonomischen, gesundheitlichen und technologischen Bereich zusammen, hätte ich ein sehr gutes Verkehrskonzept.
Diese Stärke sollten wir weiter ausbauen und so manche Schwachstellen ausbügeln. Viel Hoffnung also, aber auch viel zu tun.
Kurz nachgefragt:
1. Mit welcher berühmten Persönlichkeit würden Sie gerne einmal plaudern?
Barack Obama, um seinen Im-Nachhinein-Blick mitzubekommen
2. Die Mobilitätsfee erfüllt Ihnen einen Wunsch – wie würde der lauten?
Begegnungszonen so viele und so flächendeckend wie möglich in allen Ortszentren Österreichs.
3. Welcher Versuchung können Sie nicht widerstehen?
Täglich auf das Fahrrad zu steigen! Dabei wähle ich gerne das Faltrad, weil es mir die Möglichkeit gibt, am Abend mit dem Taxi oder den Öffis nach Hause zu fahren.
4. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad?
Ich bin süchtig mit dem Rad zu fahren. Ich bezeichne mich selbst bei der Verkehrsteilnahme als faulen Menschen und deswegen fahre ich mit dem Fahrrad und gehe weniger zu Fuß. Denn gehen ist anstrengender.
5. Welche Telefonnummern in Ihrem Verzeichnis sind die wichtigsten?
Die meiner Frau und meiner Töchter.
6. Ihr aufregendstes Erlebnis in der Arbeit?
Geschäftsführer haben unterschiedliche Steckenpferde, meines ist die Organisationsentwicklung.
Für mich ist es immer befreiend, wenn wir organisational einen Schritt vorangekommen sind. Vor vielen Jahren war das föderale System des VCÖ aufzulösen, später die Einführung der Balance Score Card, was extrem wertvoll war für die Organisation. Heute arbeiten wir viel mit Netzwerkanalysen und in den Kompetenznetzwerken, die sich selbst generieren, was ich extrem wertvoll finde.
7. Meine Ruhe finde ich…
Auf der Tavernenterrasse an der Südküste Kretas und auf dem Balkon der Almhütte in Südtirol.
8. Berge oder Meer?
Das Gemeinsame dieser beiden Dinge ist es für mich – und dafür werde ich oft gehänselt. Ich bin ja ausgebildeter Geologe und ich war viel in den Bergen unterwegs – aber ich muss auf keinen einzigen Gipfel hinauf steigen und ich kann viele Monate am Wasser sitzen und über das Wasser schauen – aber hinein gehe ich nicht. Meer und Berge sind für mich so uralt und unendlich und ich kann sie einfach betrachten und ich muss sie nicht bezwingen.
9. Welches Buch sollten man unbedingt gelesen haben?
Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. Ist genial und zeigt wie klein der Mensch ist, vor allem der Homo sapiens.
10. Die Urlaubszeit beginnt: Was muss unbedingt in den Reisekoffer?
Mein E-Book und ein paar andere Bücher. Ich lese sehr viel, Urlaub ist Lesezeit. Ich bin jemand der nicht viel reist. Eher an einen ruhigen Ort fahren und dort sitzen und lesen, statt Sehenswürdigkeiten anschauen.
Dankeschön für das Interview.