Beitrag von unserem Blogger Gerald Franz
Mit dem Nachtzug auf Reisen gehen – neuer Hype oder Schnee von gestern?
Erfreulich ist auch das steigende Angebot an Nachtzügen innerhalb Europas. Diese Art von Anreise zur gewählten Destination ist äußerst beliebt. Das gab es doch schon mal?
Meine erste weitere Reise ohne Eltern führte mich mit Freunden nach Schottland – mit dem Zug. Damals war ich 16 – mein erster Flug fand erst ein paar Jahre später statt. Wir stiegen in Wels in den Nachtzug ein, der uns bis nach Ostende in Belgien brachte. Von dort ging es am nächsten Morgen über den Ärmelkanal nach Großbritannien. Gefühlt stand einem die ganze Welt offen, alles nur einmal Schlafen entfernt (allein der Name OstENDE) – ein Abenteuer mit Auf- und Durchrüttelungsgarantie. Der schlechte Kaffee und die schal schmeckende Semmel am nächsten Morgen konnten das Reisefieber nicht mindern. Das Unterwegssein machte alle Strapazen wett.
Später kamen viele Nachtzugsfahren dazu. Mit der Schulklasse nach Paris, als Student nach Rom und Berlin – Wunschdestinationen und eine gute Möglichkeit Mitteleuropa zu erkunden. Mehrmals ging es mit Freunden über Nacht ins Skigebiet. Wir sind am Abend in Wien mit Skiern eingestiegen, in der Früh am Arlberg ausgestiegen und waren die ersten auf der Piste – fantastische Erinnerungen. Damals als Unternehmensberater nach dem Studium ging es nach Hamburg und Düsseldorf. Immer noch feine Erlebnisse, auch wenn es mit Sack und Pack- wie Anzug und Laptop – schon ein wenig ungemütlicher wurde. Meistens ergaben sich dann doch interessante Gespräche mit den Abteilnachbarn und das Gefühl in der Früh mitten in einer fremden Stadt einzurollen war (und ist) immer ein erhebendes.
Anfang der 2000er Jahre wurde es langsam still um die Nachtzüge. Billige Flugangebote in jeden Winkel des Kontinents machten der Bahn zu große Konkurrenz. Langsam stellten so gut wie alle Länder bis auf die ÖBB ihre Nachtzugverbindungen ein. Die wenigen, die noch fuhren, waren möglicherweise Bahnnostalgiker, hatten Flugangst oder waren überzeugte Klimaschützer – vorausgesetzt man brachte die nötige Zeit mit. Die eine oder andere Nachzugfahrt unternahm ich auch in dieser Zeit, wobei man schon einiges an guten Nerven mitbringen musste. Ich verpasste die Taufe meiner Nichte, weil mein Nachtzug aus Utrecht mehrere Stunden Verspätung hatte. Alte ausrangierte Wägen über entlegene rumpelnde Nebenstrecken durch Tschechien und Polen nach Berlin ließen an Schlaf nicht denken. In solchen Momenten dann der Gedanke: warum tue ich mir das an? Mit dem Flieger wäre ich in 2 Stunden dort gewesen!
Die Nachzüge fahren wieder
Vor ein, zwei Jahren dann die Trendwende bei den ÖBB: Die Nachtzugsverbindungen wurden wieder reaktiviert, die Schlafwägen erneuert und langsam ausgetauscht. Mit Vorfreunde schaute ich mir die als Prototypen ausgestellten Schlafabteile in der ÖBB Zentrale am Wiener Hauptbahnhof an – eindeutig ein Komfortgewinn. Was erst nur ein paar Bahnfans so richtig bewusst wurde, sprach sich in den letzten Monaten schnell herum. Die neuen Verbindungen werden gut gebucht und sogar ausgebaut, der Komfort ist gestiegen.
Ein kleines aber feines Aha-Erlebnis war die kleine Speisekarte, auf der man sich für den nächsten Morgen das Frühstück aussuchen kann oder der Piccolo-Sekt zum Einschlafen. In Zeiten der Klimakrise und des Flight-Shamings wurde natürlich kräftig Werbung für das neue Reisen im Zug durch die Nacht gemacht. Alles das kulminierte im medialen Spektakel der letzten Tage, wo die Nachtzugverbindung nach Brüssel mit Pauken und Trompeten (eine Blasmusikkapelle stand am Bahnsteig!) feierlich eingeweiht wurde. Zahlreiche politische Prominenz mit an Board. Was an einer 14-Stunden Verbindung nach Brüssel nun so revolutionär sein soll, ließ viele, auch eingefleischte BahnfahrerInnen schmunzelnd zurück.
Klarerweise muss sich hier noch vieles tun, damit der Nachtzug für die breite Masse eine echte Alternative zum Flieger wird. Ich bin immer wieder überrascht wie viele Personen in meinem Bekanntenkreis noch nie einen Nachzug nahmen (ein PS. an alle weiblichen Leserinnen – es gibt eigens buchbare Damenabteile), insofern macht ein intensives Marketing schon Sinn. Gleichzeitig verstehe ich, dass es für viele Geschäftsreisen nicht ideal ist, erst um 11 Uhr vormittags in Brüssel anzukommen. Kurzum, die Nachtzugverbindungen müssten schneller, verlässlicher und in einem dichteren Netz verfügbar werden. Das allerdings können nicht die ÖBB alleine lösen. Dazu braucht es nationale und EU-weite politische Bekenntnisse, Umsetzungsstrategien und entsprechende Budgets um solche Bahnnetze Wirklichkeit werden zu lassen. Andere Länder, wie zum Beispiel Japan oder China machen es vor wie es geht.
Ich bin jedenfalls gespannt was da noch kommen wird und bleibe dem Nachtzug, wenn auch nicht immer, aber immer wenn es geht, treu. Und vielleicht fährt ja irgendwann wieder, wenn wir als KonsumentInnen das wollen, ein Nachtzug nach Ostende!