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Müll gab‘s früher nicht

Beitrag von unserer Bloggerin Natalie Oberhollenzer

Ein älteres Paar erzählt, welchen Wert alte Telefonbücher, leere Blechdosen und Essensreste vor 50 Jahren noch hatten.

Älteres Paar trinkt Kaffee
Früher wurden Gebrauchsgegenstände länger genutzt und nicht so schnell entsorgt.

Neulich traf ich das Seniorenpärchen Seppl (75) und Annemarie (69) zu Kaffee und Kuchen. Die beiden sind seit 42 Jahren verheiratet und wohnen in den Tiroler Bergen. Als wir da saßen und den Kaffee schlürften holte Annemarie eine Pralinenschachtel aus ihrer Tasche. „Die werden wir uns jetzt auch noch genehmigen“, sagte sie ganz vergnügt und fing an die Schokobox auszuwickeln. Sie riss die durchsichtige Plastikhülle auseinander, machte den Deckel der Schachtel auf und schaute auf das luftgepolsterte Papierteil, das auf den Süßigkeiten drauf lag. „So viel Drumherum für das bisschen Schokolade“, murmelte sie. „Kein Wunder, dass wir alle in unseren Müllbergen ersticken“. Ich frug sie, wie sie das heute so finden mit dem vielen Abfall. „Uns älteren Leuten ist das unfein. Wir kennen es von früher ganz anders“ entgegnete sie. Da habe es nicht so viel gegeben, und das meiste habe man wiederverwendet.

Seppl nickte zustimmend. Dann begannen sie mit ihrer Zeitreise und erzählten aus ihrer Kindheit in den jeweiligen Bauernfamilien. In die von der Paradeis-Sauce übrigen Blechdosen hat die Mutter sofort irgendwelche Setzlinge oder Blumen eingepflanzt. Denn Töpfe hat man damals nicht gekauft, erinnert sich Seppl. Die Gläser und Flaschen wurden zum Einmachen verwendet, „Tupperware gabs ja nicht“. Und wenn ein Schwein oder ein Huhn, das nicht wiederverwertbar war, hin wurde, warf man es auf den Komposthaufen. Das Telefonbuch wurde als Toilettenpapier verwendet, ebenso die Wochenzeitung. „Die hat man vorher aber ganz wissbegierig verschlungen“, ergänzt Annemarie. Generell Papier war früher etwas ganz Wertvolles, so die Dame weiter. Überall, auf jedes noch übrige weiße Fleckchen hat man drauf geschrieben, Kuverts, die man zugeschickt bekommen hat, sind wiederverwendet worden. So richtig kostbar waren für sie als Kind die silbernen Papierchen aus den Zigarettenschachteln. „Die habe ich tausendmal geradegestrichen und in einem Büchlein gesammelt. Ich hab sie immer wieder angeschaut und sortiert. Manchmal haben wir Blümchen und Vögel aus ihnen gefaltet“, erinnert sie sich.

50 Jahre im selben Bett

Ganz schlimm finden die beiden, dass heute so viel Essen weggeworfen wird. Die Leute seien viel zu heikel, was die Haltbarkeit betrifft. Früher hätte es sowas wie ein Haltbarkeitsdatum nicht gegeben. Annemarie: „Wann verfällt denn so eine Nudel schon? Die ist dörr und damit basta!“ Das meiste sei ohnehin noch gut nach dem angeschriebenen Verfallsdatum. Aus dem alten Schwarzbrot wurden früher Bröckchen geschnitten und in die Suppe geworfen. Reste, die man selber nicht mehr aß, wurden den Katzen, Hunden und Schweinen gegeben. Außerdem für richtig ungut befindet Seppl minderwertiges Mobiliar, das heute in Massen hergestellt wird. „Letztens sagte doch einer zu mir, dass er sich alle fünf Jahre eine neue Einrichtung leistet! So ein Quatsch!“ Früher sei ein Tischler ins Haus gekommen und habe alles „ordentlich gemacht“. Dann ist man 50 Jahre im selben Bett gelegen.

Klar – wir kennen diese Geschichten vielfach schon, denke ich mir nach dem Kaffeekränzchen. Oft tun wir sie schnell in der für viele von uns nervigen „Früher war alles besser-Kategorie“ ab, mit der sich Ältere so gerne die Welt zurechterklären. Aber das mit den Silberpapieren aus der Zigarettenschachtel ist mir dann doch nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Dass ein so gewöhnlicher Müll, so ein Nichts, so einen Wert haben konnte, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Schade irgendwie, dass wir heutzutage nicht mehr in der Lage sind, so viel Freude mit einer wertlosen Kleinigkeit zu haben. Ein erst kürzlich verstorbener Literat meinte wohl was ähnliches, als er in einem Interview erklärte, froh darüber zu sein, dass er von seinen Eltern „den Luxus der Armut“ mitbekommen hatte.