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Nachhaltig Leben heißt auch mit Veränderung, Ungewissheit und Enttäuschungen leben lernen

Beitrag von unserem Blogger Gerald Franz

Wenn ich meinen Instagram Account öffne, habe ich das Bild einer heilen intakten Welt vor mir. Ein strahlend blauer Himmel, wundervolle grüne Kulturlandschaften, silbern schimmernde Gebirgsseen werden mir von Leuten gezeigt, die ich selten kenne.

Gerald Franz am Flohmarkt mit ausgebreiteter Ware
Gerald Franz sitzt im Kofferraum vom Auto beim Flohmarkt mit seiner Ware.

Und alle diese Welten gibt es tatsächlich noch, oftmals braucht man dafür nicht mal einen „Filter“, weil die Realität doch noch viel schöner ist als das digitale Abbild. Die Vorstellung vom Wind der einem durch die Haare weht, die würzige frühherbstliche Luft, das spätsommerliche Vogelgezwitscher in diesem Moment in dem das Bild aufgenommen wurde, kann ein Foto nicht wiedergeben.

Gleichzeitig weiß ich, dass diese Bilder trügerisch sind, da sie eine heile Welt vorgaukeln, die es so nicht mehr gibt. Wir sind medial ständig mit allen möglichen Bedrohungsszenarien für unsere Erde konfrontiert, für die wir noch dazu als Kollektiv „Menschheit“ verantwortlich sind.

Global betrachtet sind das die Klimakatastrophe, das Artensterben, Dürrekatastrophen und Waldbrände, die Abholzung von Regenwäldern, Plastikmüll in den Weltmeeren, etc. Doch auch wenn wir uns in der eigenen Heimat umschauen, sind wir vor negativen Veränderungen unserer Umwelt nicht gefeit: Fichtensterben, Ernteausfälle durch Trockenheit und Schädlinge, das Verschwinden der heimischen Gletscher, die Zersiedelung und Versiegelung von wertvollen Flächen und und und.

Man braucht schon viel Optimismus, um alle diese von uns selbst verursachten Veränderungen zuversichtlich zu betrachten oder eine gute Portion Ignoranz, um sich nicht davon berühren zu lassen. Bei alle diesen „Hiobsbotschaften“ (und bei manchen Themen haben wir die Chance, das Ruder herumzureißen bereits verpasst) sind soziale Ungleichheiten oder Tierleid, die unser globales Wirtschaftssystem erzeugt, noch nicht einmal berücksichtigt.

Wenn ich mich also in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umhöre, geht es fast allen gleich: eine tiefe Frustration und Verunsicherung ist zu spüren. Wenn ich mir anschaue, wie damit umgegangen wird, dann erlebe ich Rückzug ins Private, Überbehütung der eigenen Kinder, um damit vielleicht die eigenen Ängste zu lindern. Schattengefechte und Aggressionen zu Einzelthemen in den sozialen Medien, Politikverdrossenheit, das Schüren von Vorurteilen („die Pendler sind schuld, die Städter sind schuld, die Konzerne sind schuld, die Briten sind schuld, Trump ist schuld“, etc.). Wieder andere, vor allem die, deren Kinder schon zu Jugendlichen werden, stürzen sich mit Haut und Haar in den Sport, laufen Marathons und Bergläufe, um sich stärker zu spüren. Ich erlebe bei manchen aber auch ein Leben in „Saus und Braus“, Steak Essen gehen, Wochenendflugtrips nach da und dort erscheinen selbstverständlich („wir kosten das noch aus, solange es noch geht“).

Ich muss zugegeben, all das frustriert mich ebenso und es verwirrt mich auch. Wo finde ich mich selbst wieder? Was soll man in dieser Zeit anpacken? Wie soll man sein Leben leben, um sich selbst in den Spiegel schauen zu können, um für seine eigenen Kinder eine gute Lebensgrundlage zurück gelassen zu haben.

Mein Eindruck ist, dass das Vertrauen in die Politik, etwas bewegen zu können, gering ist, da diese selbst von ihren Interessengruppen bestimmt wird. Alles was von einzelnen Gruppen gut gemeint ist (so positiv möchte ich das zumindest sehen), führt in der Summe wieder zu negativen Veränderungen für unser Ökosystem. Mensch und Natur stehen in einem Spannungsverhältnis, das Miteinander hat sich vor langer Zeit, aber spätestens mit der Industrialisierung entkoppelt und mit der Digitalisierung noch weiter beschleunigt.

Letztens hat ein Freund, den ich länger nicht getroffen habe und der ebenso wie ich einen Beruf, der im weitesten Sinne mit Nachhaltigkeit zu tun hat, gemeint: ich brauche etwas, das mir wieder Sinn im Leben gibt, ich möchte wieder in einer Gruppe mitarbeiten, wie zu Greenpeace Zeiten. Eine andere Bekannte, mit der ich bisher nie über das Thema Klimaschutz gesprochen habe, meinte sie sei nach all den negativen Berichten über die Klimakrise in eine Depression gerutscht. Nun ist sie einen Schritt weitergegangen und hat begonnen, sich zögerlich aber doch in der „Fridays for future“ Bewegung zu engagieren. Ein weiterer, sehr alter Freund, war einige Tage in London und ist mit einer Menge an Postern, der „Extiction Rebellion“-Bewegung zurückgekommen. Ich weiß nicht genau, was das ist, aber es dürfte eine neue Protestbewegung in England, gegen Brexit, Klimakatastrophe und unser bestehendes neoliberales System etc. sein. Was auch immer es ist, mein Eindruck ist, dass sich langsam aber doch Menschen wieder engagieren, ihre Werte im Leben neu kalibrieren, wieder mehr selber machen. Kochen, Backen, Anpflanzen, etc. Sie denken sich vielleicht, dass uns unser konsumistisches Umfeld lange genug eingelullt hat, uns vorgegaukelt hat, so zu glücklicheren Menschen zu werden. Ich möchte damit nicht gegen den Konsum anschreiben, denn ich weiß, wir alle wollen eine Arbeit, wollen Wohlstand – aber Kritik merke ich dennoch da und dort. „Haben wir nicht schon genug, wollen wir nicht lieber langlebige Produkte kaufen, brauche ich das wirklich alles (oder versuche ich Sachen loszuwerden), was bereitet mir tatsächlich Freude, was brauche ich, wo bleibt der Hausverstand?“ Ich denke, die Frage wie Wachstum wieder qualitätsvoller passieren kann, sollte jedenfalls erlaubt sein, ohne gleich vom Tisch gefegt zu werden.

Was bedeutet das für mich? Den „richtigen Weg“ habe ich auch noch nicht gefunden. Ich werde weiter mit dem Rad in die Arbeit fahren, weiter gerne in der Natur unterwegs sein und sie wertschätzen, weiter meine Umweltsendungen auf Radio Orange gestalten, auf meine Gesundheit achten und Fleisch, wenn ich die Wahl habe, weglassen. Die eine oder andere Flugreise, wird es in meinem Leben noch geben, aber meistens werde ich mit dem Zug unterwegs sein. Ich werde mich beruflich weiter für nachhaltige Mobilität engagieren und wer weiß, vielleicht werde ich mich auch mal ehrenamtlich für eine bessere, gerechtere Welt engagieren. Und ich möchte wieder mehr auf Menschen zugehen, denn auch das bleibt in unserer digitalen Zeit mehr und mehr auf der Strecke. Wie es mit unserer (Um-)Welt weitergeht, das steht in den Sternen. Ich weiß nur, dass ich mich medial weniger verrückt machen lassen möchte und dass mich neue Bewegungen zum Schutz unseres Klimas, unserer Lebensgrundlage positiv stimmen. Seneca hat gemeint: „Man muss, solange man lebt, lernen wie man leben soll.“ Stimmt, ich versuch es. Ihr auch?